“Teamcheffe” Dirk Pasedag in einem kurzem Statement dazu:
Im letzten Jahr noch als Zuschauer in Torgau dabei, wollten wir es in diesem Jahr wissen und haben für das dritte 24-Stunden-Enduro genannt.
Der Veranstalter, das Neubert-Racing-Team um Nicky Neubert, stand somit vor der scheinbar unmöglichen Aufgabe, mit diesem riesigen Event innerhalb von drei Wochen komplett umzuziehen - inklusive aller nötigen Genehmigungen und Infrastruktur.
Wir waren auf unserer Reise gen Süden also sehr gespannt, ob alles so klappen würde, wie erhofft.
Die 500 km Tour verlief ohne weitere Probleme
und wir kamen kurz nach dem Mittag in der Zielgegend an, machten uns in Penig (dem letzten Ort vor dem Endurogelände in LSB) auf die Suche nach einem Bäckerladen, bei dem wir uns mit frischen Brötchen eindecken konnten und waren guter Dinge. Auf dem Weg durch die kurvigen und nicht wirklich ebenen Stadtsträßchen, auf denen die Bodenfreiheit von Jans Wohnwagen das ein oder andere Mal ausgereizt wurde, wunderten wir uns über die erstaunten Blicke zweier am Straßenrand stehender 16jähriger, die unserem Tross mit aufgerissenen Mündern hinterher starrten, ihre gerade ausgeführten Tätigkeiten völlig vergessend. "Hatten die noch nie Enduros und die dazu passenden Anhänger an den bunt beklebten Transportern gesehen?" - sehr verwunderlich ob der Tatsache, dass der Endurance Day schon zum zweiten Mal in ihrer Heimat statt findet. Auf einem Netto-Parkplatz angekommen, überraschte es uns dann auch nicht sonderlich, dass die beiden uns mit ihrem Mobbed gefolgt waren und mit unveränderten Blicken vor dem Motorrad-Anhänger standen. Der nächste Schritt lag dann auch nahe: sie drängten sich förmlich auf, uns zum Veranstaltungsort zu führen. Obwohl wir nur noch vier bis fünf Kilometer entfernt waren und eigentlich genau wussten, wo es hingeht, willigten wir ein - man soll die Begeisterung der Jugend ja auch nicht bremsen. :o)
Als wir dann nach rechts ins Gelände einbogen, eröffnete sich die Sicht auf das Fahrerlager oder besser Fahrerlagerchen
- ein von einem schmalen Wiesenstreifen umgebener Schotterplatz, auf dem wir schon 26 Stunden vor Rennbeginn Probleme hatten, eine Stelle zu finden, die ohne Pfütze und für den Zeltaufbau mit Gras bewachsen ist. Geschuldet war dies nicht zuletzt auch dem Umstand, dass die wenigen Teams, die bereits vor uns dort waren, nicht unerhebliche Teile des Platzes mit Trassierband für später anreisende Kumpanen reserviert hatten.
Wie gesagt, es war nicht trivial, aber wir fanden eine Stelle - zwar mit eigenem kleinen "Teich" aber immerhin an der Wiesenkante. Wie es unter Vermeidung des Ölsardinen-Effekts zu berwerkstelligen sein sollte, dort alle Teams unterzubringen, war uns allerdings ein Rätsel - der Veranstalter eröffnete aber nach und nach immer mehr Ecken als Fahrerlager,
so dass am Ende wirklich jeder Winkel des Betonwerkes mit begeisterten Enduristen und ihren Helfern besiedelt war. Das Wörtchen "besiedelt" trifft es auch ganz gut, denn was einige Teams dort auffuhren, ließ die Vermutung aufkommen, sie wollten die ganze Saison in Langensteinbach verbringen. Das galt nicht nur für die Zeltburgen im Fahrerlager sondern ebenso für die Boxen. So mussten sich die "normalen" Teams wie wir in drei Meter breiten, durch Baugitter abgegrenzten Parzellen arrangieren, während sich etwas besser Betuchte mit ihren Race-Trucks gleich hinter fünf bis sechs solcher Boxen ausbreiten konnten. Egal - klein aber fein haben wir uns aufgrund unserer zeitigen Anreise eine Box mit ausreichend Platz nach hinten raus sichern können, damit wenigstens Jans Transporter als Werkstatt-, Umkleide-, Ruhe- und Sachentrocknungs-Wagen dort stehen konnte.
Das Basislager war schnell eingerichtet und die Box erstmal mit meinem Peugeot blockiert/reserviert, da uns die Neugier in Richtung Strecke trieb. Anhand der Pfützen im Fahrerlager hätten wir zwar schon einiges erahnen können, als wir uns aber den ersten kleineren Auf- und Abfahrten näherten, staunten wir nicht schlecht - überall wo man hintrat nur total gatschiger Lehm- und Tonboden - nicht zu erkennen, wo er weich und tief oder fest ist. Die Strecke wurde mit einer Raupe in die Botanik geschoben, vorbei an mehreren kleinen Tümpeln, deren Wasserspiegel bis direkt an den Streckenrand reichte - sogar zwischen zwei Weihern auf einem drei Meter breiten Damm war der Kurs abgebändert (Von Damm kann man eigentlich gar nicht sprechen, es war eher ein gerade noch nicht überfluteter Weg). In unseren Breiten hätte man ohne schlechtes Gewissen nicht mal ein 3-Stunden-Enduro dort entlang gelegt, zumal einige Streckenabschnitte auch nur aus einer sich durch Bäume, entlang einer Böschung schlängelnden Spur bestanden und teilweise auch noch die Rillen der Veranstaltung des vorletzten Jahres vorhanden waren. Wie sollten dort 150 Teams über 24 Stunden durch kommen, ohne ihre Maschinen tragen zu müssen oder sie gnadenlos zu versenken. Ich muss zugeben, dass die Stimmung im Team beim Anblick der Wasser- und Schlammlöcher leicht sank und selbst die Optimisten unter uns nicht so richtig glauben konnten, dass man dort ohne Führung durch höhere Gewalten heil durchkommen würde.
Nur einer ließ sich nicht beirren und versuchte uns vor dem bodenlosen Absturz in die "Das ist doch alles nicht fahrbar"-Depression zu bewahren - Jörg, der immer wieder bekräftigte, dass die Runde doch für alle gleich sei und sich jeder quälen werden muss.
Wir haben die Begehung dann erstmal abgebrochen, denn mit leerem Magen neigt man sehr schnell dazu, alles etwas schwärzer zu sehen, als es eigentlich der Fall ist. Außerdem war ja die Box noch nicht hergerichtet, ich hatte noch einen Reifen zu wechseln (Mein Vorhaben, eventuell mit dem Enduro-Comp III zu fahren, der bereits seit dem ersten LM-Lauf in Kölzin drauf ist, hab' ich nämlich ganz schnell ad acta gelegt) :o) , der Grill musste angeheizt werden und das ein oder andere Pils wartete auf die Befreiung aus seinem gläsernen Käfig. Nach dem Genuss von nicht zu vernachlässigenden Mengen gegrillten Fleisches, welches dann noch sozusagen post cenam in ausreichend Gerstensaft eingelegt wurde, machte sich eine Hälfte unseres Teams auf den Weg zu einer ausführlichen Streckenbesichtigung. Ich wechselte währenddessen meinen Hinterreifen,
was mir erstaunlich zügig gelang - das lag wohl an der außergewöhnlichen Atmosphäre dort. Nach zwei bis drei Stunden Fußmarsch kam der Spähtrupp mit lehmbesohltem Schuhwerk, gelb-braun umgefärbten Hosenbeinen und nichts Gutes verheißenden Gesichtsausdrücken wieder in die Basis zurück. Wir hatten bei unserem ersten kleinen Abstecher in die "Arena" tatsächlich nur die Pille-Palle-Abschnitte der Strecke gesehen. Im hinteren Teil reihten sich Auffahrten, die auch ohne das Vorhandensein von feuchtem Lehm und Ton recht anspruchsvoll zu sein schienen, an Abfahrten, die man mit gefühlvoll gezogenen Bremsen nur runter rutschen konnte - an fahren war nicht zu denken - dazwischen war oft nicht Mal Raum zum Schwung holen, sprich: runter - Kurve - hoch. Als ob das nicht schon ausreichen würde, sollten sich diese im Verlauf des Rennens noch mächtig ausfahren, sodass sie zu allem Überfluss mit 30 bis 40 cm hohen Steilstufen gespickt waren, was speziell in der Nacht einigen Fahrern den Angstschweiß auf die Stirn trieb, weshalb sie an der oberen Kante stehen blieben - während ihr Team in der Box vergeblich wartete - und zusahen, wie andere kopfüber in ihrer Maschine hängend, teilweise in Purzelbäumen den Hang hinunter stürzten. Aber dazu später mehr - ich möchte nicht die Chronologie meines Berichtes unterbrechen.
Nach diesen Streckenzustandsberichten begann die Stimmung bereits wieder abzusacken. Durch den Genuss weiterer Hopfen-Kaltgetränke aus allen Ecken Deutschlands konnte das Stimmungsbarometer aber umgehend wieder in ein erheiterndes Gleichgewicht gebracht werden. So klang der Abend des Anreisetages ganz ruhig aus und wir begaben uns ohne weitere Sorgen über die Machbarkeit des Rennens in unsere Schlafsäcke.
Nach einem ausgiebigen Samstagsfrühstück
wurden dann alle Sachen fürs Rennen sortiert und Jans Transporter in die Box verfrachtet,
der Zettelkram der Papierabnahme erledigt und die Motorräder zur technischen Abnahme gefahren
- alles verlief ohne jegliche Reibereien.
Hatten wir morgens noch gedacht, dass es bis 17°° Uhr viel zu viel Zeit ist und man dann wahrscheinlich irgendwo total aufgeregt und nervös rumhockt, erkannten wir schnell, dass sich der Termin für die Fahrerbesprechung und somit auch der Rennstart wie im Fluge näherten.
Für die zweite Mahlzeit am Tag musste sich aber noch Zeit finden lassen - unsere Crew bereitete uns als Energiespender für die ersten Rennstunden ein kohlehydratreiches Mahl aus Spaghetti und Tomatensauce - wir haben zwar nicht mehr sehr viel davon runter gebracht, aber zumindest war das Hungergefühl beseitigt, das gepaart mit der nicht zu verdrängenden Aufregung schnell zu Unbehagen führen kann. Nach außen hin waren zwar alle noch relaxt,
doch völlig unterdrücken ließ sich die Anspannung nicht mehr. Speziell unser Startfahrer Paul kaute schon beim Frühstück etwas schwer an seinem Käse-Brötchen und neben den roten Stellen im Gesicht machten sich mehr und mehr kreidebleiche Flächen breit.
Die letzten Vorbereitungen wurden langsam abgeschlossen und die Maschinen sollten nun endlich in die Box gebracht werden. Ich bin schon nicht mehr durch die Menschenmassen durchgekommen, die sich auf der Boxenstraße zur Fahrerbesprechung wälzten und lauschte dieser dann auf meiner Husky sitzend – war auch ganz angenehm.
Die einleitenden Worte von Nicky Neubert nach der Begrüßung waren: "Leute ich kann's euch sagen, der Regen wird kommen ..." - als Reaktion sah man viele Unterkiefer nach unten klappen, Mundwinkel sinken und hier und da ein verzweifeltes Kopfschütteln - alle wussten, was sie erwartet - egal was, jedenfalls keine leichte Veranstaltung.
Es wurde klipp und klar gesagt, dass trotz dieser Tatsache das Rennen auf keinen Fall abgebrochen werden würde, ganz gleich, wie schwer die Runde durch die Wetterbedingungen zu werden droht. Den Teams wurde aber auch versichert, dass die Streckenführung jederzeit und recht flexibel durch das Herausnehmen der schwierigen oder besser völlig unfahrbaren Passagen den Gegebenheiten angepasst werden kann.
Viel Zeit war jetzt nicht mehr bis zum Count-Down – Paul hatte schon seine Rennkluft an und seine Maschine sollte zum Vorstart gebracht werden – da kam noch mal kurzzeitig Stress auf. Wir hatten noch eine ganze Autoladung voll Sachen, die vom Fahrerlager in die Box mussten – leider wurde Chacco mit meinem Peugeot nicht mehr durch gelassen, und wir hatten den ganzen Kram per Hand hinzuschleppen – zum Glück war’s nicht all zu weit.
Dann war die Zeit ran –
auch der Rest des Teams begab sich ins Infield, um den Start verfolgen zu können.
Die Kampfmaschinen standen bereits sauber nach Nummern sortiert in zwei mit den Hecks zueinander gerichteten Reihen für den Le-Mans-Start bereit.
Dann wurde es still – der bis dahin recht kräftig wehende Wind schien abzuflauen, die Gespräche unter den Zuschauern verstummten mehr und mehr, selbst die Vögel hielten scheinbar die Luft an. Die Fahrer, welche in etwa 20 Metern Entfernung mit den Rücken zu ihren Maschinen Aufstellung genommen hatten, waren bis auf’s äußerste angespannt – einige zupften nervös an ihren Fahrershirts und Hosen rum, andere rückten unenwegt ihre Brillen immer wieder von neuem zurecht oder machten fortwährend kleine Lockerungsübungen. Zwei Streckenposten schritten noch einmal die Startaufstellung ab, wiesen Zuschauer zurück, die sich noch im Streckenbereich befanden, richteten die angetretenen Fahrer an einer imaginären Linie aus und versuchten, alles so gut es ging im Blick zu haben. Im Hintergrund sah man einen Helfer, der offensichtlich das Startsignal zu geben bereit war – er hielt die Tröte allerdings nicht hoch, als würde er sie in den nächsten Sekunden benutzen wollen, sondern sie lag in der rechten Hand, die unmotiviert am Oberschenkel herunter hing. Die Minuten verstrichen – das Warten schien endlos – die Stille wurde langsam erdrückend – ich hatte vor Aufregung schon einen Kloß im Hals und hätte auch kein Wort mehr rausgebracht. Dann … plötzlich ein lauter Knall und Paul reagierte sofort und sprang los
– aber nur einen Schritt weit, bis er bemerkte, dass es nicht das Startsignal war, sondern ein von einem Zuschauer gezündeter Böller – wenn ich den erwischt hätte … – mir wäre fast das Herz stehen geblieben … Es kehrte abermals Ruhe ein und die Nerven lagen blank – leise hörte man die Bäume rauschen und sah die einsamen Schritte des Starthelfers mit der Tröte – er ließ sich Zeit – ein Blick auf die Uhr verriet, dass es auch noch nicht ganz 17°° Uhr war – aber jeden Moment musste es losgehen. Die Fotografen hatten ihre Digi-Cams bereits im Anschlag und ihnen drohten schon die Arme lahm zu werden, da wurde die schon fast unerträgliche Stille von einem lauten und eindringlichen Hupen zerrissen – da war es, das so sehnlich erwartete Startsignal.
Es ging sehr schnell im aufgrollenden Motorenlärm unter und verkam zu einem kläglichen Quäken.
In den nächsten 20 Sekunden donnerten im Zentimeter-Abstand die Fahrer an den auf dem Startwall stehenden Zuschauern vorbei.
Es erhob sich langsam eine riesige Staubwolke aus dem Startkessel, die die Sicht auf einige vernebelte, deren Maschinen nicht gleich ansprangen. An der ersten Kurve, das wusste jeder im Voraus, würde es sehr eng werden - so kam es dann auch zum großen Stau und die Fahrer zwängten sich, den Sandkörnern in einer Sanduhr gleich, durch diesen Engpass
– einige sogar über den Wall, auf dem sich die Zuschauer drängten, um die besten Bilder machen zu können. Dann begann die Schlammschlacht in der ersten Runde
und uns blieb nur die Hoffnung, dass es Paul einigermaßen gut schafft, dem ersten Gewühle sturzfrei und auch den Staus an den Auf- und Abfahrten zu entgehen.
Wir begaben uns schnellstens zurück in unsere Box, wo ich mich als zweiter Fahrer sofort bereit machte, um im Fall der Fälle gleich einspringen zu können. Wie sich herausstellte, war das aber glücklicherweise nicht nötig – zumindest nicht vor der vereinbarten Wechselzeit von einer guten Stunde,
in der Paul vier Runden in den Langensteinbacher Schlamm brannte.
In ihrer ersten Runde stießen die Fahrer allerdings auf ein unerwartetes Hindernis in der Streckenführung – eine Sackgasse. Es wurde wohl eine Auffahrt herausgenommen und leider vergessen, die Alternativroute zu öffnen, sodass viele gezwungen waren, selbständig nach dem weiteren Streckenverlauf zu suchen – Paul ist dort jedenfalls gut rausgekommen.
Dann war ich an der Reihe – ab durch die Boxengasse und durch einen (noch) normalen Single-Trail entlang eines Bahndammes zur Zählstelle,
um Pauls letzte Runde zu werten und dann weiter in die Runde, die schon in der ersten Abfahrt mit nicht zu übersehenden Spurrinnen aufwartete.
Zu meinem Erstaunen lief aber selbst das Bezwingen der steilen Anstiege recht gut und ich konnte nur von kleineren Staus unterbrochen meine Runden fahren.
Nach mir ging Jan auf den Kurs.
Obwohl die Stunde rum war, war es jedoch kein geplanter Wechsel, als er wieder in die Box kam
– er hatte sich bei einem Sturz auf einem alten Gleis den Gasgriff völlig zerstört und musste mit dem Bowdenzug in der Hand gasgebend die Runde zu ende bringen. Somit saß nun mein Bruder Frank im Sattel
und wir kümmerten uns darum, für Jan einen neuen Gasgriff zu besorgen, was zum Glück durch die Anwesenheit zahlreicher Händler-Teams kein zu großes Problem darstellte – plötzlich standen wir sogar mit zwei Gasgriffen da – danke noch mal an dieser Stelle an KTM-Musch und Peter Haertle von der Offroadschmiede in Berlin.
Die 300er war also ziemlich schnell wieder einsatzbereit,
und Jan fuhr nach meinem Bruder vor Einbruch der Dunkelheit noch mal raus. Für Paul war’s jetzt an der Zeit, sich für die erste Nachtfahrt zu rüsten – die roten Blinklichter an Mann und Maschine mussten in Gang gebracht werden und die funzelige KTM-Biluxlampe wurde gegen eine mit Halogenstrahlern bestückte Cross-Startnummerntafel ausgetauscht.
Auch die Huskys wurden nachtfein gemacht, was eigentlich nicht mit größeren Umbauten verbunden ist, da der serienmäßige H4-Scheinwerfer ausreichend Licht spendet. Leider kamen wir aufgrund des teilweise steinigen Untergrundes auf die Idee, unsere Lampengläser (besser Plaste) für die Tagfahrten am Samstag abzukleben, was uns dann zwei geschmolzene Häufchen Elend bescherte.
Tja – wo jetzt auf die Schnelle Ersatz herbekommen …? Selbstgeschnittene Abdeckungen aus Plastikflaschen hielten auch ohne abgeklebt zu sein den Temperaturen der 55W-Lampen nicht stand. Nach einigem suchen fand sich das geeignete Material – der Deckel von Jans Nusskasten, der kurzerhand mit einem Cuttermesser zu zwei Huskylampengläsern umfunktioniert und mit reichlich Tape fixiert wurde.
Während der gesamten Nacht konnten wir unseren geplanten stündlichen Wechselrhythmus einhalten
und alles lief soweit bestens. Leider setzte, als Jan gerade auf die Strecke ging, der bereits angekündigte Regen ein, der den Kurs an vielen Stellen noch anspruchsvoller bis unfahrbar machte – die Spurrinnen wurden immer tiefer und man konnte den Grund teilweise schon nicht mehr sehen. Die Bewältigung der Runde erinnerte speziell in den Abfahrten eher an eine Paddeltour auf dem Motorrad als an Endurofahren. Auch Auffahrten mussten in einer für uns bis dato unbekannten Art und Weise bewältigt werden – so hockte oder besser lag man mit nach hinten hängenden Beinen und auf dem Boden schleifenden Knien eher wie ein Straßen-Rennsemmel-Fahrer auf seinem Möp, da man sonst in den scheinbar bodenlosen Rillen mit den Füßen zwischen seiner Maschine und unserem Mutterplaneten eingeklemmt worden wäre, was mir bei einem meiner Nacht-Turns auch prompt passierte und mir eine ordentliche Brandblase an der Wade bescherte, da der Krümmer nach Murphys-Law natürlich genau oberhalb meines Stiefels anlag. Immer wieder kam es in den Nachtstunden auch zu Staus - in der Ausfahrt aus der Boxengasse in dem bereits angesprochenen Single-Trail, der sich mittlerweile so weit ausgefahren hatte, dass sich beim durchqueren die Griffe nur noch 15 Zentimeter über dem eigentlichen Bodenniveau befanden - an Auffahrten,
an denen teilweise Zuschauer mit anpackten, gescheiterten Fahrern zu helfen und speziell auch an einer bestimmten Abfahrt, die von einigen im Nachhinein „liebevoll“ die Mörderabfahrt genannt wurde. Hier hatten sich an einer sowieso schon sehr steilen Passage noch zusätzlich die schon zu Beginn erwähnten Stufen eingefahren, so dass man Gefahr lief, sich vorwärts zu überschlagen. Leider ging das dann auch sehr vielen Fahrern so (wie auch einem Trial-Fahrer, der vor mir, für seine Zunft eher untypisch, von seinem Möp abstieg und versuchte, neben diesem herrutschend heil unten anzukommen), denn diese Abfahrt wurde erst sehr spät in der Nacht aus dem Streckenverlauf genommen – ich hoffe, die Verunfallten haben’s ohne größere Verletzungen überstanden. Es ging also unbeirrt weiter durch die Nacht
– teilweise wusste man schon nicht mehr, wo auf der Strecke man sich befindet, da der Verlauf stetig geändert wurde – einige Fahrer fanden sich zu ihrem Verdruss nach fast absolvierter Runde und dem Durchfahren einer neuerlichen Umleitung sogar plötzlich in der ersten Hälfte der Strecke wieder. So hatte jedes Team und jeder Fahrer seine kleinen mehr oder weniger erfreulichen und auch mehr oder weniger erschöpfenden Erlebnisse
… ganz allein da draußen.
Ein weiteres Highlight der Strecke war ein alter Bahndamm, an dem man entweder rechts vorbei durch immer größer werdende Bodenwellen (später dann Hügel und Täler) fahren konnte,
oder man kniff die Ar***backen zusammen und wagte sich zwischen die Gleise auf die alten Eichenschwellen,
welche durch den nassen Schlamm natürlich sehr rutschig und durch etliche fehlende Schwellen auch beinahe unberechenbar waren. Mit der Zeit fuhr sich der Schotter in den Zwischenräumen heraus und es entstanden Kanten, die gerade in den größeren Schwellenlücken leicht die doppelte Höhe eines ausgewachsenen Bordsteins erreichten. Hier galt es, einen kühlen Kopf zu bewahren, sich auf seine Fahrtechnik zu konzentrieren und mit etwas Mut und zugegebener Maßen auch unter Verdrängung der Ängste um das Möp und vor allem die Felgen, den Blick geradeaus gerichtet und ohne ruckartige Lenkbewegungen diese etwa 400 Meter lange Passage hinter sich zu bringen.
Gelang einem dies, konnte man richtig viele Fahrer überholen, die sich für den anderen Weg entschieden hatten. Meinem Bruder und mir gelang dies mit fortschreitendem Rennen und am Sonntag Vormittag langsam abtrocknender Strecke immer besser – von den unzähligen Runden, in denen ich diesen Weg wählte, hat es mich nur einmal so versetzt, dass sich meine Husky auf dem Gleis rutschend weiterbewegte, während ich in den Schotter des Gleisbettes einschlug – war aber alles halb so wild, und ich konnte nach etwas anstrengender Bergung des Möps meine Fahrt fortsetzen.
Während die Fahrer ihre Maschinen also weiter durch tiefe Rillen schleiften oder die Abfahrten hinunter warfen, arbeiteten die Helfer in den Boxen auf Hochtouren,
um die völlig zugeschlammten Maschinen mit Spachteln und einzeln heran geschleppten Wassereimern bewaffnet vom gröbsten Baatz zu befreien.
Unsere Boxen-Crew hat dies ohne Probleme und mit einer hoch anzurechnenden Selbstverständlichkeit gemeistert und uns obendrein auch noch mit warmem Essen und Getränken versorgt – danke Jörg, Eckard und Micha – es hat alles wirklich bestens geklappt, ohne dass es irgend welchen Zwist oder Stress in sonstiger Form gab.
Die Stimmung war durchweg gut, wenn sie am Sonntag aufgrund der fortschreitenden Erschöpfung auch etwas zu verblassen schien.
Wie fertig jeder einzelne war, ließ sich leicht an kleinen Ausfallerscheinungen ablesen, so wäre Micha in einem kurzen Moment der Ruhe beinahe einfach umgefallen – er ist aber noch rechtzeitig aus seinem Sekunden-Steh-Schlaf aufgewacht. Später füllte er noch einen zusätzlichen Liter Motoröl in Pauls KTM, da er die Schauglasfarbe etwas missdeutete.
Ich wollte in meine bereits betankte Husky den Tankrüssel noch mal reinhalten, und mein Bruder saß schon zum Wechsel bereit auf dem Möp, als er bemerkte, dass er seinen Brustpanzer noch gar nicht angezogen hatte.
Alles in allem waren das aber nur Kleinigkeiten, die schnell behoben und aus der Welt geschafft wurden und eigentlich auf belustigende Weise sogar noch zur Verbesserung des Klimas in der Box beitrugen.
Als die Nacht dann ihrem Ende entgegen ging, war die Runde im Vergleich zum Vortag durch die Sperrung vieler steiler Teilstücke bereits ziemlich vereinfacht und stellte bis auf die verbliebenen Spurrillen
kaum noch hohe Ansprüche an das Fahrkönnen eines Enduristen.
Mit einsetzender Morgendämmerung wurde es dann auch wieder lauter auf der Strecke,
denn viele Teams hatten es vorgezogen, die Nacht im warmen Zelt oder Wohnwagen zu verbringen und sich die Strapazen bei den widrigen Bedingungen nicht anzutun. Mächtig motiviert durch den häufigen Blick in die Linse der Digi-Cam unserer Star-Fotografin Anne, die auch jetzt noch in jeder Ecke der Runde anzutreffen war, um für super Andenken zu sorgen, konnten wir weiter unsere Runden im gewohnten Rhythmus abspulen
und unsere Freude war riesig, als wir die morgendliche Ansage der Platzierungen hörten und uns auf dem 25. Platz wieder fanden.
Wir rechneten allerdings fest damit, dass wir jetzt bei Tageslicht und der stark vereinfachten Strecke keine Chance haben würden, diese Platzierung gegen die teilweise ausgeruhten Fahrer und jene, die sich eher auf Cross-Strecken wohl fühlen und mit den jetzigen Bedingungen der mittlerweile abgetrockneten Strecke bestens klar kommen sollten, auch nur zu halten. Offensichtlich haben wir aber in der Nacht genug Runden eingefahren, dass dieser Fall nicht eintreten konnte und wir hatten auch noch genug Power, unser Tempo weiter zu forcieren und gegen den Druck der direkten Verfolger anzukämpfen – nach 20 Stunden Renndauer waren wir nämlich mit gleich drei weiteren Mannschaften in der gleichen Runde unterwegs.
Bei uns lief alles wie am Schnürchen und wir beschlossen, durch eine Verlängerung der Fahreretappen von einer Stunde auf 75 Minuten einen kompletten Wechsel einzusparen,
der ja schon allein durch den Umweg über die Boxengasse mindestens zwei Minuten Zeit kostet. Allgemein erhöhte sich das Tempo zusehens und das lag nicht allein an der leichteren Streckenführung
– man konnte das Adrenalin, dass jetzt in immer größeren Mengen den Fahrern durch die Adern schoss, förmlich riechen. Speziell in den letzten anderthalb Stunden sah das Rennen eher nach Motocross als nach einem 24-Stunden-Enduro aus
– die Fahrer lieferten sich, Kopf an Kopf liegend, Zweikämpfe,
das Rundenquittieren per Transponder wurde nicht mehr mit der Gelassenheit der zurückliegenden Stunden durchgeführt sondern begann, immer hektischer zu werden
– es wurde quasi um jede Sekunde gekämpft.
Wir feuerten, wie auch viele andere Teams unseren Abschluss-Fahrer Jan auf seinen letzten Runden an und fieberten mit. Ich war wieder genauso aufgeregt wie kurz vor dem Start – „ … schafft er es noch vor dem ersten Fahrer durch die Zählstelle und kann damit noch eine Runde fahren, die unter Umständen einen Platz weiter vorn bedeuten kann … schafft er es – reicht die Zeit … wenn er diese Runde so fährt wie die letzten, müsste es klappen … Jan, du packst das …“
Wir waren völlig aufgedreht und aus dem Häuschen, als er tatsächlich hinter dem Gebüsch am Bahndamm auftauchte – er flog förmlich um die Kurve vor der Zählstelle und ging in seine letzte Runde. Wir erwarteten ihn dann schon mit unserer Teamfahne
und waren mehr als nur happy, als wir erfuhren, dass es tatsächlich für den 18 Platz gereicht hat – bei unserer ersten Teilnahme am Endurance Day in den Top-Twenty
– einfach nur geil und ein unbeschreibliches Gefühl.
Mein Bruder und ich sind dann nach erfolgter Siegerehrung und während die anderen im Team schon am Grill saßen noch mal die Strecke abgegangen – ich kann nur sagen, dass wenn ich den Bahndamm und die spezielle Abfahrt in diesem Zustand vorher gesehen hätte, dann wäre ich wahrscheinlich immer durch die Hügellandschaft neben der Schiene gefahren und hätte an der Abfahrt auch etwas länger überlegen müssen – wahrscheinlich wäre dann mein Leben vor dem Überqueren der finalen Kante noch mal vor meinem geistigen Auge abgelaufen … ;o) … garantiert aber wäre das Gefühl mulmiger gewesen. Auf jeden Fall hatten wir die Strapazen der vergangenen Nacht schnell vergessen und liefen eigentlich nur noch grinsend durch die Gegend – einmal wegen der Freude über die überraschend gute Platzierung und zum anderen wegen des riesigen Spaßes, den wir während der gesamten Veranstaltung hatten.
Am Abend fielen wir dann alle reichlich erschöpft nach dem Genuß von Grillfleisch und nur zwei bis drei Flaschen Bier (nach denen ich mich übrigens fühlte, als hätte ich zehn getrunken) in unsere Schlaflager – durchweg zufrieden mit allem, was an diesem Pfingstwochenende passiert war.
Die Fahrer Paul Bräsel, Jan Joachimstaler, Frank und Dirk Pasedag bedanken sich bei ihrem Team Jörg Bünzow, Eckard Bräsel und Michael Kubik für die tadellose Unterstützung am Rande der Belastbarkeit sowie bei Anne Heyer, die unentwegt um den Kurs kraxelte und für die genialen und gestochen scharfen Momentaufnahmen sorgte.
Nicht zu vergessen geht der Dank des ganzen Teams auch an den MC-Wolgast für die Unterstützung unseres Unternehmens PROJEKT-24.
Danke auch an Chacco und Matthias Richter fürs Anfeuern und die eine oder andere helfende Hand.
Wir sind uns einig: „Es wird ein zweites Mal geben und zwar nicht irgendwann sondern im nächsten Jahr!“